Saarland

Verkehrsplanung, Verkehrspolitik, Pressemitteilung

Immer mehr Versiegelungsprojekte in der Biosphärenstadt St. Ingbert bei unzureichenden Planungsgrundlagen

Ignoranz gesetzlicher Vorgaben, "Placebo"-Bürgerpartizipation

VCD und zahlreiche Bürgerinitiativen pochen auf Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und auf eine bessere Bürgerbeteiligung – Planungsfehler Straßenneubau Schmelzerwald

St. Ingbert, den 27. Dezember 2024. Die Stadt St. Ingbert hat im Jahr 2024 gleich mehrfach Straßenbauprojekte mit ungehemmter Flächenversiegelung angestoßen. Zugleich fehlt der Stadt ein städtebauliches Zielbild sowie elementare Planungsgrundlagen: Wohin sich die Stadt entwickeln soll, ist weder mit den Bürgern diskutiert noch durch gesetzlich vorgesehene  Planungsgrundlagen abgesichert. – So die Jahresbilanz des VCD.

Der VCD beklagt insbesondere, dass kein moderner Flächennutzungs-plan vorhanden ist. Das auf der Webseite der Stadt dazu abrufabre Dokument ist ein Foto des kaum lesbaren Plans von 1979 mit veralteter Kartengrundlage, einzelnen Nachträgen und einer nicht mehr gültigen Legende. Den nach saarländischem Gesetz zum Schutz der Natur und Heimat seit 2006 vorgesehen Landschaftsplan hat die Stadt noch nicht einmal zur Realisierung angestoßen. Hingegen verschwinden teure Fachgutachten, darunter das Radverkehrskonzept der "Planersocietät" von 2020, ungenutzt in den Schubladen der Stadtverwaltung. 

Eine Bürgerbeteiligung findet nach Wahrnehmung des VCD in St. Ingbert nur noch minimalistisch über die Orts- und Stadträte statt. Dabei ist eine überraschende Schnelligkeit der Verwaltung und fehlende Transparenz offenbar ein Prinzip, um Räte und Bürger zu überrumpeln und ihnen die Wunsch-Entscheidung aus Sicht des OB abzuringen. Der VCD vermisst die einschlägige fachliche Auseinander-setzung, er beklagt das Ausbleiben von adäquaten Rückmeldungen zu Eingaben bei Planverfahren. 

Seit dem Zwangs-Stopp des Bürgerbündnisses „Stadt für alle“ im Jahr 2012 durch Entzug der Unterstützung der Verwaltung ist dem VCD kein Forum bekannt, in dem ein Leitbild unter den neuen Bedingungen von Klimawandel, Klimaanpassung und Verkehrswende diskutiert werden könnte. Eigentlich sollten Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können, dass die Stadtverwaltung und der Bürgermeister gesetzliche Vorgaben kennen und einhalten. Der VCD sieht jedoch am Beispiel der Planungen für eine Neubaustraße durch den Schmelzerwald, am Edekaprojekt, am Hauptfriedhof oder an der Verbreiterung der Kohlenstraße, dass die Mittelstadt gleich mehrfach gesetzliche Vorgaben übergeht und planerische Zielsetzungen gar nicht erst etabliert (siehe Übersicht in der Anlage am Beispiel Straßenneubau am Schmelzerwald). 

 

Der VCD stellt am Beispiel des geplanten Bebauungsplanverfahren mit Straßenneubau im Schmelzerwald, St. Ingbert eklatante Normverstöße und ein zweifelhaftes Vorgehen fest:

Planrechtfertigung 

Es fehlt an einer fundierten Variantenprüfung, die neben dem Straßenneubau alternative Verkehrsträger wie ÖPNV, Fuß- und Radverkehr einbezieht. 

Darüber hinaus ist keine realistische Abschätzung des zukünftigen Verkehrsauf-kommens erkennbar, insbesondere unter Berücksichtigung aktueller Trends wie Home-Office und flexibler Arbeitszeiten. 

Der VCD warnt vor einer Überschätzung der Verkehrszahlen und damit vor unnötigen Eingriffen in die Umwelt.

Details:

  • Eine Variantenprüfung unter Einbeziehung aller Verkehrsträger, darunter ÖPNV, Fuß- und Radverkehr ist bisher nicht erfolgt
  • Eine zuverlässige Abschätzung zur tatsächlichen Nutzung und zum erwartenden Verkehrsaufkommen liegt nicht vor
  • Effekte durch Home-Office, Teilzeitbeschäftigung und flexible Arbeitszeiten fehlen in den bisherigen Gutachten
  • Der VCD geht bezüglich der bisher vorliegenden Gutachten von einer deutlichen Überschätzung des zukünftigen Verkehrsaufkommens aus

Vorgaben der Bauleitplanung / Schutzziele

Das Vorhaben widerspricht mehreren gesetzlichen Vorgaben: 

Der schonende Umgang mit Bodenressourcen gemäß § 1a BauGB wird nicht beachtet, und das Landschaftsschutzgebiet wird beeinträchtigt. Auch die Zielsetzungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes sowie des saarländischen Landesplanungsgesetzes werden missachtet, da die geplanten Maßnahmen langfristig zur Versiegelung und Erhöhung der Treibhausgasemissionen führen.

Details:

  • Das BauGB gebietet in §1a (2) den schonenden Umgang mit Grund und Boden und normiert insbesondere in der sogenannten „Umwidmungssperrklausel“: „Landwirtschaftlich, als Wald oder für Wohnzwecke genutzte Flächen sollen nur im notwendigen Umfang umgenutzt werden.“ – Die Projekte der Stadt St. Ingbert laufen diesen gesetzlichen Zielsetzungen zuwider. Eine Auseinandersetzung mit diesen Schutzzielen ist in den Planunterlagen nicht erkennbar.
  • Das Vorhaben widerspricht der Zielsetzung des saarländischen Landesplanungs-gesetztes §1 (§ 1 Leitvorstellung der Landesplanung) (2) 1., wonach u. a. anzustreben ist: dauerhafte Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, umfassender Schutz des Klimas, Vermeidung von Gesundheitsgefahren“
  • Zielabweichungen der Stadt IGB bedürfen der Entscheidung der Landesplanungsbehörde (bisher keine relevanten Aktivitäten erkennbar)
  • Das beplante Gebiet ist als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen.
  • Das geplante Vorhaben widerspricht der Zielsetzung des Bundes-Klimaschutzgesetzes, insbesondere zahlen die Versiegelung und das zu erwartende Verkehrsaufkommen gegenteilig auf die anzustrebende Treibhausgasneutralität ein
  • Die übergeordnete Bauleitplanung (Flächennutzungsplan der Stadt St. Ingbert) weist für die geplanten Gebiete Waldnutzung aus
  • Hinweis: Der in St. Ingbert genutzte Flächennutzungsplan trägt das Datum vom 22.2.1979. Dieser Plan enthält eine veraltete Darstellung der Planzeichen. Der Plan ist nicht digital und entspricht nicht dem Stand der Technik.

Klimavorsorge, Starkregenvorsorge und Naherholung

Die geplante Straße durchschneidet Gebiete, die laut Klimatopkartierung wichtige klimatische Funktionen erfüllen. Insbesondere angesichts zunehmender Starkregenereignisse wirken der Verlust puffernder Waldflächen und die Flächenversiegelung negativ auf die Hochwasservorsorge. Dies könnte zu einer Verschärfung der Hochwassersituation talabwärts führen.

Details:

  • Klimatopkartierung von 1994: Die gemeinsam mit dem damaligen Stadtverband Saarbrücken durchgeführte Thermalscanner-Befliegung und Biotopkartierung ergab für das beplante Gebiet die Kategorisierung „Waldklimatop“ sowie in einem Teilraum „Freilandklimatop mit hochaktiver klimatischer Ausgleichsfunktion“.
  • Die Versiegelung durch den Straßenneubau wirkt dem Bedarf an puffernden Boden- und Waldflächen (Starkregenvorsorge/Schwammstadt) entgegen und wird das Hochwasserrisiko talabwärts in Richtung Rentrisch verschärfen.

Biodiversität und Bodenschutz

Das betroffene Gebiet ist ein sensibler Lebensraum für geschützte Arten wie Eidechsen und Haselmäuse. Der VCD kritisiert, dass die Anforderungen des Bundesbodenschutzgesetzes (§ 1 SBodSchG) in der Planung nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Es besteht ein besonderer Bedarf, alternative Standorte oder Maßnahmen zu prüfen.

Details:

  • Das betroffene Waldgebiet mit seinem angrenzenden Bereich zur Bahnstrecke stellt ein besonderer Lebensraum für Flora und Fauna dar. Die vorhandenen Biotope, darunter Mauern und Schotterbereiche nahe der Bahn als Trockenbiotope mit Eidechsen und Haselmaus bedarf des besonderen Schutzes.
  • Die Pflichten der Kommune nach § 1 des SBodSchG (2) zur Prüfung von Alternativen wurden bei der Beschlussvorlage zur Eröffnung des BBO-Verfahrens missachtet.

Belastung des vorhandenen Straßenraums

Die geplante Sperrung des Tunnels führt zu Ausweichverkehr in angrenzenden Wohngebieten, was die Lebensqualität dort beeinträchtigen könnte. Der VCD hinterfragt die Notwendigkeit der Straße, da die Verkehrsaufkommen auf der Saarbrücker Straße laut Landesdaten rückläufig sind. 

Details:

  • Die vorgesehene Sperrung des Tunnels führt zu Umwegen/Mehrverkehr u. a., da Anwohner auf dem Weg in die Innenstadt bei Nutzung von Kraftfahrzeugen durch Wohngebiete/Ensheimer Straße oder via Weststraße fahren müssen.
  • Ein Vergleich zum Verkehrsaufkommen und der Nutzung des tunnelartigen Bahndurchlasses mit dem Zeitraum der aktiven Nutzung des St. Ingberter Güterbahnhofs inklusive aktiver Industriebetriebe (Neumann-Gelände) fehlt.
  • Die Verkehrsmengenkarten 2005/2015/2021 des LfS zeigen für die Saarbrücker Straße ein rückläufiges Verkehrsaufkommen auf, wodurch kein zusätzlicher Bedarf für eine „Entlastung der Saarbrücker Straße“ zwingend ist.

Prüfung verkehrlicher Alternativen

Priorität sollte die Förderung von nicht-motorisierten Verkehrsformen sowie die direkte Anbindung des CISPA-Campus an den Bahnhof haben. Der VCD sieht eine Priorität darin, zunächst alle verkehrlichen Alternativen ohne Nutzung des motorisierten Individualverkehrs auszugestalten und auszuschöpfen, bevor über Straßenneubauprojekte entschieden werden kann. 

Details:

  • Die Untersuchung der naheliegenden Anbindung des CISPA-Campus an den Bahnhof St. Ingbert steht aus.
  • Vorhandene Gutachten im Auftrag der Stadtverwaltung zur Verkehrsentwicklung und Radverkehrsplanung fanden bei der Entscheidungsfindung für ein Straßenneubauprojekt Schmelzerwald keine Berücksichtigung

 

 

 

 

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